Kapitel 30
2004-7-6
Das Mädchen liegt vor ihm auf der niedrigen Liege. Kaum ist mehr zu erkennen, daß noch Leben in diesem Körper ist. Die trockene Haut ist straff über die Knochen gespannt, hat eine welke Farbe angenommen, wie Leder. Der ausgemergelte Körper vermag kaum, die Kleidung zu füllen. Unter dem roten Hemd hebt und senkt sich die jetzt fast völlig flache Brust nur unregelmäßig. Die Augen sind fest verschlossen und liegen tief in ihren dunklen Höhlen. Das schwarze Haar beginnt bereits grau zu werden und stellenweise auszufallen. Das Gift der Geisterwölfe. Läßt den Körper vertrocknen, bis die Essenz, die Sterblichkeit, sich zu einem Kristall zusammengezogen hat. Ein Kristall von der Farbe des Blutes...
Druhn steht da und hält den Krug mit Feenwein umklammert. Feenwein, der das Blut wieder in Fluß bringen wird und dieses Geschöpf für immer an das Feenreich binden wird. Als Gefäß für die Sterblichkeit, für das Blut, von dem sie alle leben.
Da, die Augenlieder zucken, ein kurzes Aufwallen von Leben. Es ist noch ein Funken in diesem Körper. Gut. Mariana wird zufrieden mit mir sein. Noch bin ich Herr der Jagd.
"Wach auf, Mädchen. Du bist noch nicht tot. Komm aus deinen Träumen zurück, ich, Druhn von der dunklen Seite, befehle es dir!"
Zitternd öffnen sich die Augen, geblendet von der Helligkeit. Grüne Augen, völlig klar. Grün wie eine Wiese im Sonnenschein. Druhn schüttelt den Kopf, um klar zu denken. Schnell schiebt er eine Hand unter den Kopf des Mädchens, um ihren Blick auf sich zu lenken.
"Druhn..." nur schwach dringt das Wort an sein Ohr. Mehr ein Seufzer als ein Wort. Die Augen sind weit geöffnet und suchen seinen Blick. Ungläubug erwiedert er den Blick dieser Augen. Ein Bild von einem Bach, eingefaßt von großen, flachen Steinen. Sonnenschein. Ist es möglich? Habe ich doch endlich gefunden, was ich so verzweifelt gesucht habe? Gefunden, um es an dich ausliefern zu müssen, Mutter? Nein, ich werde nicht zulassen, daß mir wieder genommen wird, was ich schon aufgegeben hatte. Ich werde sie dir nicht ausliefern, Mariana! Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, das Gift zu stoppen, auch ohne daß sie von dem Wein trinken muß. Entschlossen schleudert Druhn das Gefäß in die Ecke. Roter Wein spitzt an die Wand und tropft langsam zu Boden, fast wie Blut. Zart nimmt er die dürre Gestalt auf seine Arme. Trägt sie durch den Palast zu den Ställen, kaum behindert von dem geringen Gewicht. Vorsichtig bettet er sie vor sich auf sein Pferd und reitet los. Reitet in großer Eile, dem Tag entgegen, eine einzige, verzweifelte Hoffnung in der Brust, alles auf eine vage Vermutung setzend.
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